Herzbruch

Es gibt noch kein gutes deutsches Wort für den Zustand, den der Anglophone als heartbreak bezeichnet. Wie – etwa das binnenreimige „Herzschmerz“? Auf gar keinen Fall; das klingt nach Kitsch; nach Helene Fischer. No, thank you. Ich schlage „Herzbruch“ vor. So ungefähr klingt das dann: 

 

Anna zu Birgitta: „Wie, du hast morgen dein erstes Date? Hals- und Herzbruch wünsche ich dir!“

Birgitta: „Na ja, ich mache erstmal langsam. Meine letzte Beziehung hatte wirklich ein herzbrecherisches Tempo!“

Anna: „Verstehe ich! Hast du eigentlich in letzter Zeit mal von Cecilia gehört?“

Birgitta: „Nee, die leidet immer noch unter schwerem Herzbruch.“

Was stimmte.

 

Was stimmt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen habe ich mir noch nie irgendein Körperteil gebrochen. Ich glaube, ich habe mir nicht mal ernsthaft was verstaucht (obwohl ich einmal sehr stolz darauf war, mir bei einer Generalprobe für ein Theaterstück ein Band im Fuß angerissen zu haben). Ich bin eben ein sehr vorsichtiger Mensch. Sogar der Sport den ich mache, Pilates, ist risikofrei und entspannend (was vielleicht erklärt, warum es mich mittlerweile langweilt). Und dann ein Schritt in die große Beziehung, und schon: Knack. Oder wie soll es sonst klingen, wenn ein Herz bricht? Vielleicht wie ein riesiger Kronleuchter, der auf Fliesen zerschellt? Wie ein Buntglasfenster, das jemand mit einem groben Stein einschlägt? Wie das Krachen, wenn zwei reifenquietschende Autos frontal aufeinanderprallen? Oder ist es ganz langsam, ein quälend langgezogenes, anschwellendes Geräusch, wie eine Schlinge, die sich langsam um einen Hals festzieht?

 

Diagnose Herzbruch

 

Und jetzt? Was tut man dagegen? Welche Therapien gibt es dafür? Ich habe so viele Tipps bekommen, wie ich Tränen über den Verflossenen vergossen habe. Wenige davon haben geholfen; vor allem, weil die meisten darauf abzielten, den Splitter so schnell wie möglich aus meinem Herzen zu ziehen. Für einige mag das funktionieren, meine Physiologie verlangt etwas anderes. Denn, auch wenn der Herzbruch viel mit einem Arm- oder Beinbruch gemein hat, funktioniert er doch im Grunde anders.

Es ist nämlich so: Wenn man jemanden mit aller Kraft liebt, absorbiert man ihn mit seinem Herzen. Deshalb küsst man sich so oft, liebe Kinder, denn mit jedem Kuss saugt man etwas vom anderen in sich auf und speichert es in seinem Herzen. Das ist auch notwendig, denn ein Herz, das mit einer anderen Person gefüllt ist, ist 77× so stark wie ein einzelnes Herz. Aber wenn man sich dann trennt, dann wird das, was man vom anderen in seinem Herz hat, zu einem Fremdkörper, der ausgestoßen werden muss – wie ein Spreißel. Manchmal kann man den Spreißel ziemlich gut mit einer Pinzette entfernen. Aber manchmal kann man auch nichts weiter tun, als den Schmerz zu lindern und zu warten.

Was also kann man tun, um zumindest die Schmerzen zu lindern? Grundlegende Tipps wie den Kontakt mit der feindlichen Partei zu meiden oder die tägliche Dosis an Schokolade zu erhöhen, gehören ja zur Grundausstattung jedes Herzbruch-Erste-Hilfe-Kurses. Doch diese zwei Tipps hast du bestimmt noch nirgendwo gelesen. Bei mir haben sie funktioniert – vielleicht helfen sie dir auch?

 

1. Konsum unzensierter Musik     

 

Fast nichts hat mir in konkreten Momenten der Schwäche so sehr geholfen wie The Real Slim Shady. Ich empfehle natürlich niemanden, sich exzessiv mit Slim Shady zu beschäftigen, der nicht gerade der weiße Ritter auf dem strahlenden Ross ist (Yeah, but he’s so cute though!). Aber irgendwie finde ich seine offensichtliche und ein bisschen spöttische und lächerliche Bosheit beruhigend. Ich glaube es liegt daran, dass ich dadurch meinen eigenen inneren Slim Shady, der in den Untiefen meines Herzens lauert, ans Licht zerren und seine Wut benutzen kann, um den Spreißel besser herauszuziehen: „And every single person is a Slim Shady lurking.“

Es hat mir geholfen, die Wut, die Frustration und die Ablehnung anzunehmen, und Selbstbewusstsein zu entwickeln, um dem Verflossenen in Gedanken zu sagen: Weißt du was? Du kannst mich mal!, und das auf eine Weise, bei der man sogar ein bisschen darüber lachen kann, weil es einfach ein bisschen albern ist. Sehr befreiend. Natürlich kann man dazu auch auf Taylor Swift zurückgreifen, z.B. Look What You Made Me Do oder der Klassiker Picture To Burn. Es hat nichts damit zu tun, den Verflossenen zu hassen oder sich in Rage zu hören, sondern aus einer bittersüßen, klebrig-rosa Kaugummiblase auszubrechen, die schlechten Gefühle anzuerkennen und ein bisschen darüber zu lachen.

 

2.     Die Harrypottherapie

 

Und weiter geht’s mit den dubiosen Empfehlungen. Sicher gilt die hier auch nicht für jeden. Aber vielleicht für dich? Trifft eins dieser fünf Dinge auf dich zu? Hast du seit deiner frühen Kindheit Harry Potter gelesen? Sah der Fuchsbau in deiner Fantasie aus wie das Haus deiner Großeltern? Hast du als Kind nachts davon geträumt, Todesser und Dementoren mit deinem Zauberstab in die Flucht zu schlagen? Hast du geweint wie ein Schlosshund, als *spoiler* Fred *spoiler * gestorben ist? Hast du die offiziellen Pottermore-Tests von J.K. Rowling absolviert?[1]

Dann ist die Harrypottherapie das Richtige für dich. Ich hatte tatsächlich vergessen, wie sehr die Weasleys mir eine Familie waren – bis ich spürte, wie ich beim Filmschauen im Fuchsbau nach Hause kam. Während ich den Kampf des Guten gegen das Böse in diesen sieben Teilgeschichten verfolgte, fühlte es sich insgesamt an, als würde sich in meinem Inneren etwas klären. Plötzlich wurde mir bewusst, wie wichtig Familie und Freunde sind; welche heilende, aufbauende und unzerstörbare Kraft die Liebe ist, die in ganz alltäglichen Beziehungen stecken, die eigentlich nicht alltäglich sind, sondern ganz und gar außergewöhnlich. Ich erinnerte mich auch wieder daran, warum Voldemort eigentlich böse war: Er verstand die Liebe nicht. Er verachtete sie. Er hielt sie für Schwäche. Er hatte das verrückteste und doch simpelste Mysterium nicht verstanden, das selbst in der magischen Welt die größte Macht innehatte: Die Liebe. Keine fantasieverseuchte, hochkomplizierte, diskussionsbedürftige Liebe; eine ganz natürliche, zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter, zwischen Brüdern und Schwestern, zwischen Freunden und auch zwischen Eheleuten. (Ich weiß, das ist eine theologisch basale Sache, aber sie persönlich verständlich zu machen ist eine Leistung, die wohl eher unfreiwilliges aber nicht zu verleugnendes Nebenprodukt dieser Buch- bzw. Filmreihe ist.)

Seitdem weiß ich wieder: Die Liebe ist eigentlich einfach. Menschliche Beziehungen sind das natürlich nie nur, weil das Böse selbstverständlich versucht, die Sicht auf das Einfache, Natürliche, das Gute zu verstellen. Aber die Liebe ist einfach. Und sie ist das Größte.

Die Harrypottherapie hat es mir auch nahegelegt, mich meinen Freunden und meiner Familie anzuvertrauen, die zu einem großen Teil zu meinem Heilungsprozess beitragen, und die meinem Patronus (übrigens ein Hengst, danke Pottermore), seine Leuchtkraft geben.

Also – einigen wir uns auf Herzbruch? Ich finde es sehr wichtig, solche Termini zu klären. Immerhin wird man nie ohne Herzbruch auskommen, und sobald man einen guten Namen dafür hat, der nicht so peinlich klingt wie „Liebeskummer“ oder „Herzschmerz“, redet man vielleicht auch mehr darüber, und sobald man drüber redet, hat man schon einen großen Schritt getan. Was wäre die Alternative – Liebesleid? Oder, wie es Catull in seinem berühmten Carmen 85 sagt, excrucior, die Kreuzigung?

 

 

 

 

 

 

 



[1] Ich habe die Tests getestet. Nach etwa drei Jahren Zeit und keiner Erinnerung mehr an meine letzten Antworten habe ich haargenau die gleichen Ergebnisse erzielt – außer, dass mein Stab etwas länger geworden ist. 

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